Legame
2010 Projekt: OSMOSI 2010 FIORITURA O
PAC 180, Centro residenziale Franco Basaglia/Livorno
Transparenter Schlauch, 220 x 180 cm
»Dass hier Künstler:innen sind, die aus Wien kommen und am selben Ort mit einem Herrn zusammenleben können, der viel weitere Entfernungen zurücklegt auf seiner existenziellen Reise, was die fest verschnürten Knoten seiner Werke bezeugen, darin besteht die Herausforderung der „Serate Illuminate“.«
Roberto Boccalon im Interview mit G. Moser-Wagner
Ohne selbst Erfahrungen mit der Psychiatrie gemacht zu haben, ist Franco Basaglia zum Begriff geworden für menschenwürdigen offenen Umgang mit psychisch kranken Menschen, sodass die Einladung, eine künstlerische Arbeit im Umfeld der kleinen Klinik ‚Centro residenziale Franco Basaglia‘ zu erarbeiten, Neugier und Interesse weckt, gleichzeitig Scheu in Erwartung ungewohnter, unvorhersehbarer Begegnungen und Situationen.
Auf den südlichen Hügeln, am Monte Nero gelegen, in einer ehemaligen Villa, die nach den Schäden im 2. Weltkrieg als typischer 60er Jahre Bau neu errichtet wurde, umgeben von einem Park, befindet sich das Centro. Vor allem der Park mit seinen sehr unterschiedlichen Bereichen sollte der Ort für Skulpturen oder Installationen sein – also Kunst im öffentlichen Raum, Kunst in der Natur. Die Einladung erfolgt an Künstler:innen nicht, um mit den Patient:innen zu arbeiten, sondern um im Umfeld von kranken Menschen, deren Betreuer:innen und dem Personal Kunst zu etablieren. Unter diesen Voraussetzungen reiste ich zu einem ersten Lokalaugenschein nach Livorno. Ich wollte den Ort für meine künstlerische Intervention kennen lernen, meine Arbeit sollte sich auf den Raum und das soziale Umfeld beziehen.
Die schlichte, aus Kuben zusammengesetzte Architektur der Villa kontrastiert mit der ursprünglichen, noch erhaltenen Gartengestaltung, einem Park, der sich in drei Stufen über einen Abhang erstreckt und Schatten spendende mediterrane Freundlichkeit ausstrahlt. Alle Türen der Villa sind geöffnet oder unversperrt. Personal wie PatientInnen treffen sich zur Zigarettenpause vor dem Haus. In den allgemeinen Aufenthaltsräumen, im Stiegenhaus und in den Verbindungsgängen sind die künstlerischen Arbeiten von verschiedenen Projekten mit Patienten ausgestellt. Im oberen Geschoß, im Bereich des Ateliers, sind Plakatentwürfe von Riccardo Bargellini, Maler, Grafiker und künstlerischer Leiter des Centro, zu sehen.
Und ebendort sind zwei Objekte von Franco Bellucci, einem langjährigen Patienten, dessen Produktion zwei Schränke füllt, aufgestellt, die zu den eindrücklichsten Werken im Haus zählen: Verschiedene Gegenstände sind durch Plastikschläuche nicht nur so fest miteinander verknotet, dass keinerlei Gedanke an Auflösung möglich ist, sondern die Knoten selbst sind das Werk. Unregelmäßig angeordnet, fixieren sie Schlingen von Schläuchen und Kabel. Diesen chaotisch anmutenden Objekten, die einzig darauf bedacht zu sein scheinen, zufällig gefundene Dinge unwiderruflich fest miteinander zu verbinden, wollte ich eine eigene Arbeit im Park gegenüber stellen.
Als einigermaßen disziplinierte Künstlerin suche ich immer wieder die Ordnung oder Anordnung der Materialien, die ich verwende. Mein Eingriff in die gewachsene Natur ist als Beginn eines Dialoges zu verstehen, meine Versuchsanordnung über einen geregelten Einsatz von synthetischem Material in der Gartenlandschaft, die Suche nach einer überzeugenden Form.
Meine Wahl fiel auf eine Piniengruppe, die einen annähernd kreisförmigen Platz umschließt, darin zwei Pinien, die parallel zueinander gewachsen sind. Wie bei meinen vorangegangenen Projekten wollte ich vorhandene Strukturen aufgreifen und neu formulieren. Durch ein Geflecht aus transparentem Plastikschlauch sollten die beiden hohen glatten Pinienstämme miteinander verbunden werden, sodass eine kompakte Plastik entsteht. Die Regelmäßigkeit und Festigkeit der Schlauchschlingen wird durch zwei Knotenreihen mit weißen Schnüren unterstrichen, sie folgen dem Wuchs der Baumstämme wie zwei Nähte. Die Transparenz der Plastikschläuche macht die Skulptur leicht und fließend, ein „Wasserkleid“ erscheint, vor allem bei nächtlicher Beleuchtung. Die unwiderrufliche geschwisterlich/eheliche Verbindung der beiden Pinien erscheint ebenso solide wie durchlässig.
Zu einem zweiten Vorbereitungstreffen kamen Gertrude Moser-Wagner und ich für einige Tage nach Livorno. Eine kleine Villa in 200 m Entfernung vom Centro beherbergt ein Jugendgästehaus, wo wir während unserer Aufenthalte wohnten, zu den beiden Hauptmahlzeiten waren wir Gäste des Centro. Wie groß unsere Überraschung, als es von einer Betreuerin hieß: „Eine kommt hier mit und eine da“. So wurden wir Gäste in zwei der kleinen Wohngemeinschaften, wo, je nach Freundschaft und Verträglichkeit, ca drei Personen einen kleinen gemeinsamen Haushalt mit Schlafzimmer, Wohnküche und Bad/Toilette miteinander bewohnen. Zu Mittag und abends saß ich mit drei Herren an einem Tisch, die zweimal in der Woche das Atelier besuchen um dort zu zeichnen, und daher Bescheid wissen, dass ab und zu KünstlerInnen-Gäste kommen, die für das große Fest ‚Serate Illuminate‘ hier arbeiten.
Schon damals, zu Ostern, ist mir aufgefallen, dass die PatientInnen kaum in den Garten gehen. Meist bleiben sie zur Zigarettenpause gleich an der Türe stehen oder holen sich einen Sessel dorthin. Ihre Neugier auf die Gäste hält sich in Grenzen. Franco Bellucci hat mich einmal beim Arbeiten aus sehr sicherer Distanz beobachtet, manchmal streift er umher auf der Suche nach Materialien, nimmt das, was ihn interessiert, mit und geht verschlossen seiner Wege.
Zwei Tage vor dem großen Musikfest der Serate Illuminate gab es ein großes Mittagessen für alle Patient:innen, Ärzt:innen, Betreuerinnen und die Gäste. Jeder nahm an der großen Tafel Platz, wo gerade ein Sessel frei war, und da wir Künstler:innen noch nicht alle Leute kannten, verschwammen zumindest auf den ersten Blick die Grenzen, wer krank und betreut ist und wer nicht. Diese grundsätzlich freundschaftliche Atmosphäre prägt den Alltag ebenso wie die Musikfeste am Abend. Die zahlreich erschienenen Gäste, Patient:innen und Betreuer:innen fanden alle ihr Vergnügen am Programm.